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2018

Mein Hund ist ein Angsthund

Als Julie ihre zitternde Bonnie abholt, hat die Hündin nicht nur eine endlose Fahrt hinter sich, sondern auch ein hartes Leben. Aufgegriffen von einer Tierschutzorganisation, stand ihr Bild lange Zeit im Netz – bis Julie, damals noch Studentin, sich entschied, sie aus Rumänien zu sich zu holen. Sie hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Hund zu retten. Jetzt war es so weit. Eine Geschichte, die sich in rosaroten Farben zeichnen ließe – wäre da nicht dieses winzige Detail.

Bonnies Ängstlichkeit verschwand nicht. Anfangs ließ sich ihr Erstarren, ihre Panik nach der anstrengenden Fahrt der fremden Umgebung zuschreiben. Aber auch Monate später erschreckte sich die Hündin noch regelmäßig zu Tode; die Augen weit aufgerissen, die Ohren angelegt, die Rute bis zum Bauch, der ganze Körper unter Strom. Immer wieder. Und langsam wurde klar: Sie erschreckte sich vor allem Möglichen. Als Julie die Auslöser zu sammeln begann, stand die Diagnose „Angsthund“ bald fest. Unter den 50 Einträgen sind zwar so bekannte Schrecken wie Böller und Gewitter. Aber rasch häuften sich die absolut harmlosen Dinge: Luftballons. Kopfkissen aufschütteln. Fenster öffnen. Wind. „Einer Freundin ist mal bei einem Spaziergang ein Taschentuch runtergefallen“, erinnert sich Julie. Sofort brannten bei Bonnie alle Sicherungen durch.

Sehr wahrscheinlich war die Hündin in extremer Isolation aufgewachsen – anders kann sich Julie ihre Angst auch heute noch nicht erklären. Damals wurde Gassigehen immer mehr zur Qual. Sie von der Leine lassen? Unmöglich. Das Risiko, sie könnte in ein Auto laufen, viel zu groß. Die Panikattacken ihrer Hündin ließen Julie nicht mehr ruhig schlafen. „Ich war natürlich total überfordert.“ Eigentlich wollte sie ihre Hündin überallhin mitnehmen: auf die Neckarwiese, zu Freunden, vielleicht auch zur Uni. Nun suchte sie ihrerseits Hilfe, im Netz und bei verschiedenen Hundetrainern. Was ihr geraten wurde: Bonnies Angst ignorieren, um sie nicht zu verstärken. Außerdem: Konfrontation. Expositionstherapie. Bonnie muss da durch, muss ihren Stressoren immer wieder konsequent ausgesetzt werden, damit sie lernt, dass keine tatsächliche Gefahr droht. Auch beim Menschen wird diese Form der Therapie häufig angewandt – und führt oft zum Erfolg.

Für Julie bedeutete das viele Spaziergänge zum Spielplatz, wo kreischende Kinder auf Bonnie warteten. Oder durch die Hauptstraße. Die Leine hielt sie dabei fest. Bei Gewitter ignorierte sie Bonnies Angst und wandte sich ihr erst wieder zu, wenn die Panik ihrer Hündin nachließ. Aber der Erfolg blieb aus. Beim nächsten Gewitter – das gleiche Spiel. Beim nächsten Spielplatzbesuch – der gleiche Schreckzustand. Statt ihre Angst zu verlieren, zog sich die Hündin immer mehr zurück. „Eine Katastrophe“, urteilt Julie rückblickend. Sie ließ Bonnie in den ersten Monaten in ihrer Angst allein, in der Hoffnung, dass sie dadurch verschwinden würde. Die Hündin fand aber allein nicht aus ihrer Angst heraus.

Das zu begreifen, war für Julie der erste Schritt – weg von den Ratschlägen ihrer Trainer und auf Bonnie zu. Sie beschloss, Bonnies Therapie selbst in die Hand zu nehmen. Wenn Bonnie sich in ihre Panik verrannte, bot sie ihr Zuflucht, bis sie sich beruhigte. Statt der Spielplatzhölle suchte sie für Bonnie Situationen, in denen sie zur Ruhe kommen konnte; keine Menschenmengen mehr, keine schreienden Kinder, stattdessen Waldwege und weite Felder. Was nach Vermeidung klingt, war für Julie Gold wert: Nur so gelang ihr langsam das Aufbauen einer Vertrauensbasis. Es signalisierte Bonnie: Ich will dir Gutes. Fordern muss sie die Hündin natürlich trotzdem – aber in Maßen, und nicht mit der Konfrontationsgewalt, die ihr geraten wurde. Dass die ersten Therapieversuche kläglich scheiterten, findet sie mittlerweile logisch. „Wenn der Hund voller Panik ist, kann er nicht lernen“, erklärt Julie. Es gilt, Bonnie schrittweise an verschiedene Angstreize zu gewöhnen – nicht an alle auf einmal. Bei Menschen mit Angststörungen ist das ähnlich: Viele begeben sich nicht sofort in die stressigste Situation, sondern steigern langsam den Bedrohlichkeitsgrad. Um Reizüberflutungen wie die des Spielplatzes schlägt Julie mit ihrer Angsthündin deshalb einen weiten Bogen.

Stattdessen setzt sie beim Training auf Geduld und das Prinzip der positiven Verstärkung. Wenn Bonnies Angst einsetzt, bietet Julie ihr alternative Reaktionen an und versucht, sie Bonnie möglichst schmackhaft zu machen. Spielen statt Weglaufen, Leckerli statt panischer Starre. „Gegenkonditionieren“ nennt Julie das. Im Idealfall wird ein lauter Knall irgendwann nicht mehr als Bedrohung interpretiert, sondern als Aufforderung, sich dem Frauchen zuzuwenden. Weil es Leberwurst aus der Tube gibt, etwa. Oder das Lieblingsspielzeug.

Bei vielen Dingen klappt das bereits. Bonnie kann inzwischen nach Herzenslust in weiten Feldern laufen. Ganz ohne Leine. Gänseblümchen, Windstoß oder Handyklingeln sind für sie längst kein Problem mehr. Statt zu flüchten, schaut sie jetzt fragend zu ihrem Frauchen – und bekommt sofort ein dickes Lob. So lernt Bonnie immer weiter, ganz ohne Zwang. Dass sie trotzdem immer ängstlicher sein wird als andere Hunde, hat Julie mittlerweile akzeptiert. Laute und plötzliche Geräusche lösen immer noch ihren Fluchtinstinkt aus. Für Julie gilt deshalb, je nach Situation abzuwägen, ob sie ihren Angsthasen mitnehmen kann: Manches geht, manches eben nicht. Bei zu großem Risiko lässt sie Bonnie dann zu Hause. Das ist weniger nervenaufreibend – sowohl für sie als auch für Bonnie.

Gewendet hat sich das Blatt mit Bonnies Angststörung für beide: Mit ihrem Master frisch in der Tasche, packte Julie die Gelegenheit beim Schopf und begann kurzerhand eine Ausbildung zur Hundetrainerin – parallel zum Vollzeitjob. Das war vor einem knappen Jahr. So unermüdlich hat sie gelernt, dass ihr jetzt nur noch die Prüfung für die Trainerlizenz fehlt. Darauf spart sie gerade. „Dann steige ich voll um!“ Sie strahlt. „Ich möchte nicht mehr tauschen.“

Ihre Erfahrungen zum Thema Angsthund schildert Julie auf ihrer Webseite Julie & Bonnie (www.julieandbonnie.de). Dort finden sich auch jede Menge Tipps und Trainingsstrategien für Hundehalter.

Autorin: Jana Ulbrich, Rhein-Neckar-Zeitung

Juli 2018

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