2017
Ist mein Hund gestresst?
Was ist Stress?
Den Begriff Stress gibt es seit fast einhundert Jahren; er beschreibt eine “erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer oder psychischer Art“ (Duden 2017). Stress im Allgemeinen ist ein überlebenswichtiger Anpassungsmechanismus des Körpers, der jederzeit eintreten kann. Empfindet ein Hund beispielsweise (subjektiv) Gefahr, werden automatisch Stresshormone freigesetzt und die Stressreaktionen des Körpers werden aktiviert – der Hund ist in sogenannter Alarmbereitschaft.
Welche Arten von Stress gibt es?
Es gibt zwei Arten von Stress: positiven Stress und negativen Stress.
Positiver Stress (Eustress) entsteht zum Beispiel, wenn sich ein Hund über eine Person, Futter, Spielzeug oder den Beginn des Spaziergangs freut. Es freut sich sehr und bringt dies beispielsweise durch Anspringen oder Vokalisieren zum Ausdruck. Bei Eustress ist der Stress ausschließlich mit positiven Emotionen verbunden, daher nennt man ihn positiven Stress.
Negativer Stress (Disstress) hingegen ist mit negativen Emotionen verbunden. Ein Hund, der zum Beispiel über Gewalt oder einschüchternde Methoden erzogen wird, erlebt negativen Stress.
Was sind Ursachen für Stress?
Reize, die Stress auslösen, nennt man Stressoren. Diese können psychologisch, physiologische oder soziologisch sein.
Psychologische Stressoren
- Unsicherheit/Angst
- Keine Sozialkontakte
- Entzug von Liebe oder Vertrauen
- Gewalt
- Überforderung
- Unterforderung
Physiologische Stressoren
- Hunger/Durst
- Falsche Ernährung
- Schmerzen
- Krankheit
- Kälte/Hitze
- Keine Ruhephasen/zu wenig Schlaf
- Überforderung
- Unterforderung
Soziologische Stressoren
- Schlechte Sozialisierung
- Schlechter Kontakt mit Menschen (Gewalt, Einschüchterung, Druck, Strafe)
- Schlechter Kontakt mit Hunden (Mobbing)
- Veränderung der Umgebung (Umzug)
Wie erkenne ich Stress beim Hund?
Hunde kommunizieren vor allem über ihre Körpersprache. Daher ist es wichtig, Hunde lesen zu können. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl an Stress-Signalen bei Hunden, welche einzeln oder auch vermehrt auftreten können.
Allein im Gesicht gibt es einige Anzeichen von Stress:
- Zurückgelegte Ohren
- Gähnen
- Zurückgezogene Lefzen
- Hecheln/Speicheln
- Schnauzenlecken
- Erweiterte Pupillen
- Aufgerissene Augen
- Viel “Weiß“ in den Augen
- Blinzeln
Auch die Pfoten können Stress anzeigen:
- Schweißbildung an den Pfotenballen
- Anheben einer Vorderpfote
Wichtig ist jedoch immer, den gesamten Körper des Hundes zu betrachten. Weitere Stress-Signale können nämlich sein:
- Angespannte Muskeln
- Eingezogene Rute
- Aufgerichtete Rückenhaare (Piloerektion)
- Zittern
- Schuppenbildung/Haarausfall
- Beschleunigter Herzschlag
- Schnelle, flache Atmung
- Anhalten der Atmung
- Peniserektion
Auch deuten folgende Verhaltensweisen auf Stress hin:
- Durchfall
- Kratzen
- Rammeln
- Schütteln
- Einfrieren
- Kein Interesse an Futter
- Kein Interesse an Spielen
- Lethargie (Trägheit)
- Gesteigerte Aktivität
Stress-Symptome werden übrigens nicht bewusst von Hunden gesteuert!
Was tun, wenn Ihr Hund gestresst ist?
Wie auch bei akuter Angst sollte ein Hund in Stresssituationen nicht ignoriert werden.
Wir Hundehalter:innen sind für das Wohl unserer Hunde verantwortlich. Kommuniziert mir meine Hündin mithilfe ihrer Körpersprache, dass sie eine bestimmte Situation zu sehr stresst, nehme ich sie aus der Situation heraus bzw. reduziere den Stress (individuell je nach Situation). Die leider noch weit verbreitete Idee der “Schocktherapie“ ist in Stresssituationen fehl am Platz, da ein extrem gestresster Hund in einer überfordernden Umgebung nicht lernt, sich zu entstressen – im Gegenteil. Entweder ist er völlig reizüberflutet und lernt schlichtweg gar nicht, oder aber er merkt sich, wie schlimm diese Situation ist und wird sich beim nächsten Mal in dieser Umgebung daran erinnern und entsprechend mindestens genauso gestresst sein. Gleichzeitig verliert der Hund das Vertrauen in seine Bezugsperson, wenn seine Stress-Signale dauerhaft ignoriert werden.
Statt unsere Hunde also mit ihrem Stress allein zu lassen bzw. die Stress-Signale zu ignorieren, können (sollen!) wir schrittweise mit unseren Hunden und ihren individuellen Stressoren trainieren. Hierfür gibt es verschiedene Methoden:
- Desensibilisierung
- Gegenkonditionierung
- Konditionierte Entspannung
Desensibilisierung
Bei der Desensibilisierung wird ein Hund schrittweise an einen Stressor herangeführt. Der Auslöser ist anfangs noch so weit entfernt bzw. in so geringer Intensität, dass der Hund nicht gestresst ist. Durch langsame Steigerung der Intensität bzw. Verringerung der Entfernung zum Stressor gewöhnt sich der Hund an den jeweiligen Auslöser.
So gewöhne ich meine Hündin beispielsweise an das Geräusch von Kirchenglocken oder schreienden Kindern, indem ich Aufnahmen hiervon zu Hause abspiele und die Lautstärke langsam erhöhe, während sie weiter entspannt in ihrem Körbchen liegt.
Gegenkonditionierung
Bei der Gegenkonditionierung wird ein negativer Stressor mit etwas Positivem verknüpft. Sobald der Hund den Auslöser wahrnimmt, bekommt er etwas ganz Besonderes, was er nicht oft bekommt, aber sehr gerne mag, z. B. Leberwurst oder Wiener. So lernt er nach und nach, den ursprünglich negativen Stressor mit etwas Positivem zu verbinden und ist durch dessen Anwesenheit nicht mehr gestresst.
Zum Beispiel waren entgegenkommende Fußgänger oder Fahrradfahrer für meine Hündin sehr angsteinflößend und entsprechend eine alltägliche Stresssituation, die ich selten vermeiden konnte. Mithilfe der Gegenkonditionierung hat sie allerdings gelernt, dass eine sich nähernde Person oder ein herankommendes Fahrrad nichts Bedrohliches, sondern etwas Positives darstellt – in ihrem Fall zum Beispiel Thunfisch aus der Futtertube. Mittlerweile versucht meine Hündin bei Fußgängern und Fahrradfahren nicht mehr zu flüchten, sondern bleibt bei mir und sieht erwartungsvoll zu mir, weil sie diese positiv verknüpft hat.
Konditionierte Entspannung
Durch klassische Konditionierung kann man einem Hund mithilfe eines bestimmten Wortes, Duftes oder Musik zu Entspannung verhelfen. Konditionierte Entspannung durch ein Entspannungssignal, einen Entspannungsduft oder eine Entspannungsmusik muss aber erst aufgebaut werden; sie kann nicht sofort in einer Stresssituation angewendet werden! Die Konditionierung ist ganz einfach: immer dann, wenn der Hund zu Hause liegt und entspannt, sagt man ein ruhiges und bestenfalls langgezogenes Wort (z. B. “eeeeasy“). Oder man legt ein Stück Stoff oder ein Halstuch mit einem verdünnten Entspannungsduft (z. B. Lavendel oder Zitrone) zum Hund. Alternativ kann man auch eine bestimmte Musik abspielen oder den RelaxoDog (Affiliate Link*). Wenn man dies täglich macht, wird der Hund das Wort, den Duft oder die Musik automatisch mit Entspannung verknüpfen. In Stresssituationen kann man seinen Hund dann mithilfe dieser Konditionierung beruhigen und zu mehr Entspannung verhelfen. Aber Achtung – die konditionierte Entspannung ist wie ein Akku ist, der immer wieder aufgeladen (mit Entspannung verknüpft) werden muss.
Fazit
Stress ist normal und ein lebenswichtiger Anpassungsmechanismus für Hunde. Ist ein Hund allerdings permanent bzw. selbst in entspannter Umgebung gestresst, müssen wir unseren Hund unterstützen. Wir reduzieren den Stress, gewöhnen unseren Hund langsam an die Situation bzw. verbinden den Stressor mit etwas Positivem – mit dem Ziel, dass unser Hund immer gelassener und weniger gestresst ist.