2018
Wie lernen Hunde?
Hunde lernen durch assoziative Lernformen (klassische und operante bzw. instrumentelle Konditionierung), durch nicht-assoziative Lernformen (Gewöhnung/Habituation, Sensibilisierung) und durch soziales Lernen (Nachahmung/Erkenntnis).
Die fünf Lernformen
- Gewöhnung/Habituation
- Sensibilisierung
- Klassische Konditionierung
- Operante/instrumentelle Konditionierung
- Soziales Lernen
1. Gewöhnung/Habituation
Das Prinzip der Gewöhnung kennen wir alle. Ein gewisser Reiz tritt so oft bzw. wiederholt auf, dass wir uns mit der Zeit unterbewusst an ihn gewöhnen. Bei Hunden ist es genauso: Ein regelmäßig auftretender Reiz, sofern er keine Gefahr darstellt, wird nach und nach kaum bis gar nicht mehr wahrgenommen; er wird als unbedeutend gesehen und letztendlich ausgeblendet. So ist das zum Beispiel mit dem Ticken einer Uhr oder dem Brummen eines Kühlschranks. Silvester hingegen findet zwar jedes Jahr zur selben Zeit statt, doch ist dieses eine Mal im Jahr viel zu selten, als dass sich Hunde, die sich hierbei fürchten, daran gewöhnen könnten (s. dahingehend auch diesen Beitrag zum Thema Silvesterangst).
2. Sensibilisierung
Bei der Sensibilisierung reagiert der Organismus empfindlicher auf gewisse Reize. Auch wenn sich die jeweiligen Reize wiederholen, gewöhnen sich Hunde bei der Sensibilisierung (im Vergleich zur Gewöhnung/Habituation) nicht an die Reize und ihre Fähigkeit zu Lernen wird eingeschränkt. Ein gutes Beispiel hierfür sind vereinzelte Schüsse, die (geräuschempfindliche) Hunde plötzlich auf Spaziergängen hören, als gefährlich einstufen und entsprechend sensibilisiert werden.
Wann gewöhnt sich ein Hund und wann wird er sensibilisiert?
Im Jahre 1970 wurde die sogenannte Zwei-Prozess-Theorie der Habituation (dual-process theory) von P. M. Groves & R. F. Thompson aufgestellt. Diese besagt, dass im Nervensystem zwei Prozesse gleichzeitig ablaufen, nämlich der Habituationsprozess und der Sensibilisierungsprozess. Je nachdem, welches System aktiver bzw. stärker ist, findet ‚mehr‘ Habituation oder ‚mehr‘ Sensibilisierung statt. Für uns Menschen ist das natürlich schwer einzuschätzen und noch schwerer vorauszusagen, wie unsere Hunde reagieren werden.
Meine allgemein ängstliche Hündin hat sich in den vergangenen Jahren an einiges gewöhnt, doch auf Schussgeräusche ist sie eindeutig sensibilisiert. Fällt unerwartet ein Schuss eines Jägers während eines Spaziergangs, ist sie dermaßen gestresst, dass sie deutlich sensibler auf alles andere reagiert, auch auf andere Geräusche, die zuvor unproblematisch waren. Diese Sensibilisierung wird von Mal zu Mal intensiver, ihre Angst wird größer. Während sie also jedes Mal heftiger auf Schuss- oder schussähnliche Geräusche reagiert und entsprechend sensibilisiert wird (Sensibilisierungsprozess > Habituationsprozess), gewöhnen sich andere ihrer (weniger unsicheren) Hundefreunde hieran (Habituationsprozess > Sensibilisierungsprozess).
3. Klassische Konditionierung
Die klassische Konditionierung wurde von Ivan Pavlov entdeckt (mehr dazu in diesem Beitrag). Diese Art der Konditionierung besagt, dass ein neutraler Stimulus konditioniert werden kann und so ein unkonditionierter Reflex zu einer konditionierten Reaktion werden kann. Vereinfacht gesagt: Verhalten kann gezielt verändert werden und Hunde sind nachweislich fähig zu lernen.
Ein bekanntes Beispiel klassischer Konditionierung ist das Bellen beim Läuten der Türglocke. Ursprünglich war die Türglocke ein unkonditionierter Stimulus, ein neutraler Reiz. Nachdem jedes Mal beim Läuten jedoch Besuch eintrat, verknüpfte der Hund das Geräusch mit dem Besuch und erwartet nun bei jedem Läuten Besuch und bellt entsprechend. Die Türglocke wurde ein konditionierter Stimulus; das Bellen wurde eine konditionierte Reaktion.
4. Operante/instrumentelle Konditionierung
Die operante (oder instrumentelle) Konditionierung wurde von B. F. Skinner entdeckt (mehr dazu in diesem Beitrag). Sie zeigt, dass Hunde Verhalten, das sich für sie lohnt, nicht nur öfter zeigen (s. Thorndikes Gesetz der Wirkung), sondern dass man Verhalten auch gezielt beeinflussen und verändern kann. Hierauf basieren die Trainingsmethoden der positiven und negativen Verstärkung sowie der positiven und negativen Strafe:
Positive Verstärkung (etwas Angenehmes wird hinzugefügt → Freude)
Negative Strafe (etwas Angenehmes wird entfernt → Frust/Enttäuschung)
Positive Strafe (etwas Unangenehmes wird hinzugefügt → Angst/Schmerz)
Negative Verstärkung (etwas Unangenehmes wird entfernt → Erleichterung)
Im modernen Hundetraining verzichten wir auf den Einsatz von Druck, Einschüchterung und Gewalt und arbeiten ohne positive Strafe oder negative Verstärkung. Wer heute noch immer Angstreize, Schreckreize und Schmerzreize in der Hundeerziehung anwendet, verstößt ganz klar gegen das Tierschutzgesetz, das besagt, dass man einem Tier nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Da es alternative Trainingsmethoden gibt (positive Verstärkung), gibt es schlichtweg keinen Grund, einem Hund durch aversive Methoden physischen und psychischen Schaden zuzufügen!
5. Soziales Lernen
Zu guter Letzt lernen Hunde auch durch sogenanntes soziales Lernen. Zum einen lernen Hunde durch Versuch und Irrtum (s. Thorndikes Gesetz der Wirkung) , sie lernen aber auch durch direkte Nachahmung. Als soziale Lebewesen leben und lernen Hunde in sozialen Kontexten. Vor allem Welpen beobachten ihre Sozialpartner (quasi ihre Vorbilder) und ahmen diese nach. Aber auch wir Menschen werden gerne beobachtet und nachgeahmt.
Ein Hinweis zur Entwicklungsphase
Bezüglich der Lerntheorie ist es auch wichtig, die sogenannte kritische Phase der ersten Lebensmonate miteinzubeziehen. Eine bekannte Veranschaulichung hierfür stammt von Hubel & Wiesel (1969). Für einen Versuch wurden Katzen innerhalb ihrer ersten drei Lebensmonate für unterschiedlich lange jeweils ein Auge geschlossen. Als man die Augen später wieder öffnete, stellte man fest, dass sich aufgrund des fehlenden Nerveninputs kein Sehsinn entwickeln konnte. Diese Veränderung im visuellen Cortex (der Hirnrinde) konnte nie rückgängig gemacht werden – auch Jahre später nicht mehr! Zum Vergleich: Wenn man einer bereits erwachsenen Katze ein Auge für ein ganzes Jahr verschließt und es dann wieder öffnet, hat dies keinerlei Auswirkungen auf den Sehnerv und sie kann weiterhin sehen. Jegliche Entwicklungen in der beschriebenen sensiblen Phase sind also enorm wichtig und haben einen großen Einfluss auf das spätere Leben und Lernen.
Bei Welpen beginnt die Entwicklung der Sinne und vor allem auch die soziale Entwicklung in der vierten Lebenswoche. Da beginnen sie die Umwelt und somit Neues zu erforschen. Diese sensible Phase endet, sobald die Welpen beginnen, Neues zu vermeiden. Was sie in dieser bedeutenden Periode ihres Lebens nicht lernen, kann nicht nachgeholt werden – was entsprechend fatale Folgen für ihr weiteres Leben haben kann. Daher ist das Angst-Training mit Deprivationshunden auch so schwer (was ein deprivierter Hund ist, können Sie hier nachlesen – ein Beitrag über die Entwicklungsphasen inklusive der kritischen Perioden finden Sie hier).
Fazit
Hunde lernen immer – egal, ob wir gerade im Training sind oder nicht. Das müssen wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen. Scheint unser Hund eine bestimmte Sache einfach nicht zu lernen, liegt es sehr wahrscheinlich an uns Menschen und unserem Training – nicht am Hund. Die Lerntheorie unterscheidet zwischen fünf Lernformen: klassische Konditionierung, operante/instrumentelle Konditionierung, Gewöhnung/Habituation, Sensibilisierung und soziales Lernen.
„Sorge dafür, dass die Grenzen die des Tieres sind und nicht die des Trainers!“
Bob Bailey